Die gute Zeit

Eine Theaterpredigt

Es murrt etwas durch die Welt und wird auch vor steigenden Löhnen nicht schweigen, nicht ganz leise fragt überall fast jedermann: Wie lebt sich’s denn in diesem Leben, geht’s etwa gut, sind wir in der guten Zeit, lohnt es sich oder wär’s besser nicht — da stimmt was nicht. Aber eine Stimme ist doch, eine feste, die antwortet: Setzt euch in Übereinstimmung mit euch selbst, schafft in euch Wissen vom Wohlverhalten vor dem eigenen Urteil – und ihr habt die gute Zeit.

– aus der Selbstanzeige Ernst Barlachs zu seinem Werk Die gute Zeit.

Ambrosia, Atlas und der Alte Herr im Klubsessel aus Barlachs "Die gute Zeit"
Friederike, Nicolas und Victor als Ambrosia, Atlas und der Alte Herr im Klubsessel (v.l.n.r.); nicht zu sehen: Constanze Caroline Dutescu als Celestine (c) Katharina Gladisch

Theaterpredigt fand am 14. Oktober 2018, 10 Uhr im Dom zu Güstrow und 19 Uhr in der Universitätskirche Rostock statt.

Die Predigt fragt ausgehend von Barlachs Drama danach, was uns Menschen und Christen in einer „guten Zeit“ Leben lässt. Der Zweifel Barlachs, sein „geht’s etwa gut?“, „lohnt es sich oder wär`s besser nicht“ wird anhand einzelner Szenen und Miniaturen ins Gespräch gebracht mit dem Wochenspruch des Propheten Micha: „Mensch, es ist dir gesagt, was gut ist“. Was bei Micha recht klar zu sein scheint, wird bei Barlach in den Motiven von „absoluter Versicherung“, „Autonomie und Heteronomie“ und „Individualismus und Gemeinschaft“ immer wieder neu befragt: Dem Verdacht, dass es nicht gut geht, trotz oder gar wegen des steigenden Wohlstandes wird die Aufforderung entgegengestellt: „Setz dich in Übereinstimmung mit dir selbst“.

Barlach, Micha, vier Laienschauspielende, eine Predigerin und die Frage, ob wir eine gute Zeit leben. Die mehr ist, als die Frage, ob wir in einer guten Zeit leben.

Das Textbuch entstand in Zusammenarbeit von Eckart Reinmuth und Katharina Gladisch. In Güstrow bildet der Gottesdienst mit Theaterpredigt den Abschluss der Kulturaktion Güstrow schwebt.

Die Schauspielenden sind:

Nicolas Dettmann aus Rostock in der Rolle des Atlas und des Kastro.

Nic
(c) Pia Drews

Da ist Atlas, der Titan, der Erlöser, der Vorsitzende der Absoluten Versicherung, der AV, die Heiligung und Heil bringen soll entsprechend der kapitalistischen Logik: Wer viel einzuzahlen bereit ist, wird auch viel Gegenleistung bekommen. Unklar bleibt aber zu jeder Zeit, wie die AV eigentlich konkret eintritt im Problem- oder Schadensfall. Vielmehr wird sie als eine Art Freibrief beschworen. Die gute Zeit wird an die AV gebunden, kann nur nicht eintreten, weil keine der Figuren Mitglied in dieser zu sein scheint. So ist sie eine leere Institution, die verheißt: Es lebte sich gut in diesem Leben, wenn man nur in die AV einträte. Als ihr Haupt thront über den Wolken der Lebensverunsicherung Atlas. Er ist der Meister der Selbstbeschwörung.

Da ist Kastro, der Gegenentwurf zu Atlas, der auf dem Weg ist mit seinem Bruder Idaos. Kastros Wesen besteht im Hinterher-Gehen. Dem Aufruf zur Umkehr im Leben entspricht er durch immer gerade gebotene Umkehr-Manöver, dem Anderen auf Schritt und Tritt folgend: „Wie du willst, Idaos, du mußt es wissen, du hast eine Meinung.“

Friederike Samstag aus Hildesheim in der Rolle der Ambrosia und der Sibylle.

Susann Kabisch
(c) Martijn Bergsma

Da ist Ambrosia, die unsterblich machende Speise der Götter, die kinderlos bleibt, und dies so interpretiert, dass ihr der Segen, dass eine Seele zu ihr kommen möge, verwehrt bleibt. Dabei ist sie diejenige, die so klar in ihren Gedanken ist, dass sie der in Aufruhe befindlichen Celestine zu denken geben kann. Was sie aber nicht kann: das Blatt des sich Ereignenden zu wenden. Sie wirkt wie eine klug intervenierende Stimme, die zu wenig Gestalt erhält, als dass sie wirklich wirken könnte.

Da ist Sibylle, die mondsüchtige, die Leidenschaft sucht und Leiden erntet, aber darin lebt und Abgründigkeit als den Puls des Lebens sucht und spürt. Sie beschwört den Mond und die Nacht und ihre Fruchtbarkeit und ihr weibliches Herz. Ihr bewusstes Sich-Stürzen in Gefahr und Lebendigkeit ist das Antiphon zur kühlen, leiblosen absoluten Versicherung.

Victor Sudmann aus Hamburg in der Rolle des Syros, Idaos und des Alten Herrn im Klubsessel.

Victor
(c) Franka Machann

Da ist Syros, der König der Ziegenfelle, für den eine barbarisch-pragmatische Logik gilt. Der seine Einschätzungen zur guten Zeit situativ wechselt und dabei doch ganz klar ist: Er hat die schlechte Zeit verlassen. Und die nur in ihr befindliche Schuld. Frei von Schuld kann er handeln, wie er will. Rücksicht auf Andere hat er auch in der schlechten Zeit zurück gelassen.

Da ist Idaos, derjenige von dem merkwürdig umkehrenden Bruderpaar, der voran geht. Er sieht ganz klar: „Er muß zurückgeholt werden, es gehört sich, daß er zurückkommt.“ Ja, so gehört sich das wohl. Aber wer ist eigentlich „Er“?

Da ist der Alte Herr im Klubsessel, der räsoniert, „wie weit es gekommen ist“ und dennoch im Klubsessel sitzen bleibt, denn bequemer ist es, ironisch distanziert die Zustände zu analysieren, als in Bewegung zu kommen und zu bringen.

Constanze Caroline Dutescu aus Rostock in der Rolle der Celestine.

Flocki
(c) Natalie Dutescu

Da ist Celestine, die Himmlische, die so sehr „verloren – an das Andere“ ist. Die ihr eigenes Glück im „Hinab“ erwartet und sucht, obwohl sie doch von ganz oben, aus herrschaftlichem Hause kommt. Die auf das Wort wartet, wie auf Luft zum Atmen. Und die Freiheit im Sprung in den Abgrund „des unzähligen Gewimmels der Sterne“ sucht.

 

 

 

 

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